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§ 177 StGB, Strafe, sexueller Übergriff, Nötigung, Vergewaltigung

Seit Jahren forderten Kritiker, das Sexualstrafrecht bedarf einer Reform. Die sexuelle Selbstbestimmung sei nicht genügend geschützt. Seit Silvester 2015 wurden diese kritischen Stimmen lauter. Insbesondere die Ereignisse in Köln führten schließlich zu einer Verschärfung des Sexualstrafrechts.

Im Juli 2016 beschloss der Deutsche Bundestag das Sexualstrafrecht zu reformieren. Seitdem herrscht viel Unklarheit. Was hat sich eigentlich geändert? Kann man sich jetzt leichter strafbar machen bzw. ist es für ein Opfer leichter geworden, eine Sexualstraftat anzuzeigen? Was bedeutet „Nein heißt Nein“? Muss jetzt vor jeder sexuellen Handlung eine ausdrückliche Zustimmung erklärt werden? Darf man betrunken keinen Sex mehr haben? Ist ein Kuss auf die Wange bereits sexuelle Belästigung?

Rechtsanwalt Dietrich, als Fachanwalt für Strafrecht, beantwortet im Folgenden die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit dem neuen Sexualstrafrecht.

Was ist jetzt neu im Sexualstrafrecht?

Nach § 177 a.F. war für eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung in der Regel erforderlich, dass Gewalt oder die Drohung mit Gewalt (Nötigungsmittel) angewendet worden ist. Verhaltensweisen ohne eine Nötigungsmittel unterfielen in der Regel nicht dem Anwendungsbereich von § 177 StGB.

Die Neufassung von § 177 StGB hat dazu geführt, dass viele Handlungen, die früher nicht oder nicht sexualstrafrechtlich verfolgt wurden, nun von § 177 StGB erfasst werden.

Neu geregelt sind die sexuelle Belästigung und das Ausnutzen einer schutzlosen Lage oder eines Überraschungsmoments, um sexuelle Handlungen zu begehen. Außerdem sind sexuelle Handlungen aus Gruppen heraus jetzt strafbar. Einer konkreten Nötigung bedarf es nicht mehr. Bisher war dies alles nicht gesetzlich geregelt.

Einige Handlungen konnten nach altem Recht nicht bestraft werden. So zum Beispiel wenn eine Frau (oder ein Mann), abends allein nach Hause geht und im Dunkeln von einer anderen Person überrascht wird. Wenn er sie dann angefasst hat oder verlangte, dass sie ihn anfasst und dem wurde einfach aus Angst nachgekommen, wurde hier weder explizit Gewalt angedroht noch genötigt. Das bedeutet, es war schwierig, jemanden wegen "sexueller Nötigung" zu bestrafen, wenn die andere Person aus Angst quasi freiwillig gehandelt hat. Heute muss kein Drohung mit Gewalt mehr vorliegen, so dass ein Handeln aus Angst bereits den Anwendungsbereich von § 177 StGB eröffnet.

Warum wurde das Sexualstrafrecht geändert?

Bereits 2011 unterzeichnete der Europarat die sogenannte Istanbul Konvention. Dieses Übereinkommen legt fest, dass alle unterzeichnenden Staaten Gesetze schaffen müssen, um vor allem Frauen vor Gewalt zu schützen. Obwohl in Deutschland solche Gesetze bereits seit langem bestanden, sah die Justiz diese nicht als ausreichend genug an.

Das bisherige Sexualstrafrecht stand in der Kritik, nicht alle Fälle von sexuellen Übergriffen zu erfassen. Sexuelle Gewalt müsse besser verfolgt werden können, forderten Kritiker. So wurde angebracht, dass man bei sexuellen Handlungen gegen den eigenen Willen oftmals unfähig zu einer Verteidigungshandlung sei. Es sollte also auch möglich sein, Handlungen zur Anzeige zu bringen, gegen die man sich kaum zur Wehr gesetzt hat. Schlagzeilen machte hier der Begriff „Nein heißt Nein“. Das bedeutet, es genügt jetzt, einen erkennbaren Willen gegen die sexuelle Handlung zu äußern, beispielsweise eben ein einfaches „Nein“ auszusprechen oder durch Gesten zu zeigen, dass man mit der Handlung nicht einverstanden ist.

Die ganze Reform soll Geschädigte von Sexualdelikten stärken. Jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung soll mit Strafe sanktioniert werden. Obwohl eine Reform des Sexualstrafrechts bereits seit Sommer 2015 diskutiert wurde, führten die darauffolgenden Ereignisse schließlich zu einer drastischen Verschärfung der Reform.

Unter anderem wurde der Straftatbestand der „Sexuellen Belästigung“ eingeführt, als Reaktion auf die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln. Bestraft werden sollen damit vor allem sogenannte Grapscher. Neu ist auch, dass man sich strafbar macht, wenn man aus einer Gruppe heraus agiert. Dieser neu eingeführte Straftatbestand, geregelt in § 184j StGB, soll Fälle erfassen, bei denen sich Personen in einer Gruppe treffen, um dann sexuelle Belästigungen zu begehen. In der Silvesternacht 2015 soll es vor allem in Köln zu zahlreichen sexuellen Übergriffen gekommen sein, als sich mehr als 1.000 männliche Personen um den Kölner Dom und Hauptbahnhof versammelt und sowohl sexuelle Übergriffe als auch Diebstähle verübt haben sollen.

Verschärft wurde die ganze Debatte um eine Reform des Sexualstrafrechts schließlich noch durch den Fall Gina-Lisa Lohfink. Das Model hatte im Sommer 2016 zwei Männer der Vergewaltigung bezichtigt. Ein Video zeigte das Geschehen. Während die einen auf diesem Video eine Vergewaltigung zu erkennen meinten, sahen Staatsanwaltschaft und Gericht darin einvernehmlichen Sex, weil sich das Model nicht zur Wehr gesetzt habe. Der Fall löste bundesweit Empörung und Demonstrationen aus und blieb letztlich auch von der Politik nicht unbeachtet.

Was sagt § 177 StGB zum sexuellen Übergriff, Nötigung und Vergewaltigung?

§ 177 StGB hat folgenden Wortlaut:

Sexueller Übergriff

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

  1. der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
  2. der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
  3. der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
  4. der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
  5. der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

  1. gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
  2. dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
  3. eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

  1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
  2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

  1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
  2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
  3. das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

  1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
  2. das Opfer
    1. bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
    2. durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Kann man sich jetzt leichter einer Vergewaltigung strafbar machen?

In dem Wort "Vergewaltigung" steckt die Gewalt drin. Nach dem alten Recht musste man daher immer irgendeine Form von Zwang anwenden, um strafbare sexuelle Handlungen mit einer anderen Person zu begehen. Das neue Recht will die sexuelle Selbstbestimmung stärken und stellt daher auch ein gewaltloses Verhalten und Sex ohne Zwang unter Strafe, wenn es gegen den Willen einer Person ist. Ob es deswegen jetzt zu mehr Verurteilungen und Anzeigen wegen Vergewaltigungen kommt, bleibt abzuwarten.

Wird es künftig zu mehr Falschbeschuldigungen kommen?

Bereits vor der Verschärfung des Sexualstrafrechts soll es eine hohe Anzahl von Falschbeschuldigungen gegeben haben. Immer wieder werden in der Presse Fälle dargestellt, wo sich erst nach Jahren herausgestellt hat, dass jemand aufgrund einer Falschaussage unschuldig wegen Vergewaltigung verurteilt und mehrere Jahre im Gefängnis verbracht hat. Es ist nun zu befürchten, dass durch die Ausweitung der Strafbarkeit auch die Hemmung für eine Falschbelastung steigt.

Wenn eine aktive Verteidigung gegen sexuelle Handlungen nicht mehr notwendig ist, so sinkt die Hürde für Sexualstraftaten. Kritiker befürchten daher ein Ansteigen der Falschbeschuldigungen.

Die betrogene und erzürnte Ehefrau beispielsweise könnte nun jederzeit behaupten, ihr Mann habe an ihr den Beischlaf gegen ihren Willen vollzogen. Sollte ein Gericht der Aussage der Ehefrau glauben, wird es zu einer Verurteilung wegen Vergewaltigung kommen.

Was ist ein sexueller Übergriff?

Der Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs ist in § 177 Abs. 1 StGB neu geregelt und stellt jede sexuelle Handlung dar, die sich gegen den Willen einer anderen Person richtet. Eine Nötigung, wie bisher, ist nicht mehr notwendig.

In § 177 Abs. 1 StGB heißt es:

„Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Man kann sich strafbar machen, wenn man gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt, solche Handlungen an sich vornehmen lässt oder die Person derartige Handlungen an einem Dritten vornehmen muss bzw. ein Dritter sie vornimmt.

Was bedeutet „gegen den erkennbaren Willen“?

Das entscheidende Tatbestandsmerkmal ist „gegen den erkennbaren Willen“. Der Gesetzgeber möchte mit dieser Formulierung vermeintlich die sexuelle Selbstbestimmung stärken. Es geht nicht länger darum, Widerstand zu leisten, wenn man mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist, sondern man muss der Handlung zustimmen. An einer Zustimmung fehlt es, wenn man einen entgegenstehenden Willen äußert.

Dass man mit einer Handlung nicht einverstanden ist, kann man durch ein einfach „Nein“ oder „Hör auf“ signalisieren. Aber auch ein Kopfschütteln, sich sträuben, weigern oder Weinen soll genügen. Ob ein entgegenstehender Wille tatsächlich vorliegt, soll aus der Sicht eines objektiven Dritten beurteilt werden. Ein rein mentaler Vorbehalt genügt hingegen nicht. Auch ein reis lustloser Gesichtsausdruck ist nicht genug. Dass man mit der Handlung nicht einverstanden ist, muss schon irgendwie deutlich zum Ausdruck kommen.

Was heißt eine Person zu sexuellen Handlungen an einem Dritten bestimmen?

Nach § 177 Abs. 1 StGB macht man sich auch strafbar, wenn man eine Person bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen. Bestimmen bedeutet so viel wie veranlassen, drängen oder dazu bewegen. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll hierfür eine Nötigung nicht erforderlich sein. Wie man in der Praxis eine Person dazu drängen soll, mit einer anderen Person sexuelle Handlungen vorzunehmen, ohne dass es hierbei einer Nötigung bedarf, ist bisher jedoch recht unklar. Es bleibt abzuwarten, wie zukünftig Gerichte mit diesem sehr weitem Begriff umgehen werden.

Was ist, wenn ich den entgegenstehenden Willen nicht erkannt habe?

Der sexuelle Übergriff stellt ein Vorsatzdelikt dar. Wenn man annimmt, die andere Person willige in die sexuelle Handlung ein, handelt man ohne Vorsatz. Eine fahrlässige Vergewaltigung gibt es nicht. An diesem Punkt setzt die Kritik an der neuen Strafrechtsreform ein. Denn wie soll man erkennen, dass das Gegenüber nicht will, wenn eine körperliche Verteidigung nicht mehr notwendig ist? Und wer wird seinen Partner schon direkt fragen, ob man jetzt bereit sei zu sexuellen Handlungen überzugehen bzw. muss man vor jeder einzelnen Handlung explizit nachfragen? Was, wenn die anderer Person nur mit einer bestimmten Praktik nicht einverstanden ist? Was, wenn der Partner zwar nein sagt, dennoch aber aktiv am Geschehen teilnimmt?

Hier wird erst die Praxis zeigen, wie die Gerichte mit diesen Problemen umgehen werden. Im Ergebnis wird im konkreten Fall ein Gericht darüber entscheiden, ob es davon ausgeht, dass der Beschuldigte den entgegenstehenden Willen nicht erkannt habe, oder ob es sich bei der Einlassung des Beschuldigten um eine sogenannte Schutzbehauptung handelt.

Deshalb sollte man als Beschuldigter gegenüber der Polizei keine Angaben machen. Vielmehr sollte man sich an einem im Sexualstrafrecht erfahrenden Rechtsanwalt wenden.

Macht man sich strafbar, wenn man mit dem langjährigen Partner schläft, obwohl dieser gerade wenig Lust dazu hat, das Ganze aber über sich ergehen lässt?

Gerade in längeren Partnerbeziehungen kann es dazu kommen, dass ein Partner in einer konkreten kein Interesse an intimen Kontakten hat, diese aber über sich ergehen lässt. Wenn später die Beziehung gescheitert ist, kommt es immer wieder vor, dass Vergewaltigungsvorwürfe erhoben werden. Was nach altem Recht nicht strafbar war, kann heute unter Umständen zu einer Verurteilung wegen Vergewaltigung führen, wenn man als Beschuldigter erkannt hat, dass der Partner keinen intimen Kontakt wünscht.

Ist Sex in betrunkenem Zustand jetzt immer strafbar?

In § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB wird unter Strafe gestellt, wenn sexuelle Handlungen vorgenommen werden und der Beschuldigte hierbei ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. Nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB macht man sich strafbar, wenn die Person aufgrund eines körperlichen oder psychischen Zustandes in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, der Beschuldigte hat sich der Zustimmung der Person versichert.

§ 177 Absatz 2 StGB regelt in den Nummern eins und zwei Fälle von Personen, die nicht in der Lage sind einen entgegenstehenden Willen zu bilden. Ursache für die fehlende Willensbildung kann Krankheit oder Behinderung sein. Personen die querschnittsgelähmt sind fallen nicht hierunter, weil diese sich zwar körperlich nicht wehren können, jedoch einen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringen können. Es geht also in erster Linie um psychische Störungen.

Einen solchen Straftatbestand gab es bereits früher. Neu ist aber, dass nun auch Personen umfasst sind, die in ihrer Willensbildung erheblich eingeschränkt sind. Wie schwer diese Beeinträchtigung sein muss, darüber schweigt das Gesetz. Erfasst werden sollen damit Fälle von Trunkenheit. Wer es ausnutzt, dass eine andere Person psychisch oder körperlich eingeschränkt ist, kann sich strafbar machen. Es sei denn, er hat sich ausdrücklich der Zustimmung versichert. Theoretisch würde das so aussehen: ein Mann fragt eine angetrunkene Frau ob sie auch ausdrücklich mit ihm verkehren möchte, erst wenn sie deutlich ja sagt, macht er sich nicht strafbar.

Bereits dieses plastische Beispiel zeigt, dass das Risiko, wegen Vergewaltigung angezeigt zu werden, in diesem Bereich deutlich gestiegen.

Ich habe jemandem einen Kuss aufgezwungen – ist das strafbar?

Bisher waren solche Fälle der sexuellen Belästigung nicht besonders geregelt. So wurde beispielsweise ein Mann, der eine Frau fragte ob sie mit ihm bezahlten Sex haben möchte, wegen Beleidigung nach § 185 StGB verurteilt.

In einem anderen Fall, in dem ein Mann eine Jugendliche im Halsbereich küsste, erfolgte ein Freispruch. Allein im Küssen liege zwar eine sexuell gefärbte Zudringlichkeit, dies sei aber nicht als Beleidigung zu ahnden. So das Gericht damals. Der Grund hierfür: die Beleidigungsdelikte schützen die Ehre einer Person, nicht aber explizit deren sexuelle Selbstbestimmung. Allein im Küssen könne man keine Geringschätzung oder Herabsetzung einer Person erkennen, weshalb auch keine Bestrafung wegen Beleidigung möglich war.

Heute sieht das anders aus. Sexualbezogene Handlungen sind nun mit Einführung der sexuellen Belästigung strafbar. Einem Rückgriff auf die Beleidigungsdelikte bedarf es nicht mehr.

Was heißt „einen Überraschungsmoment“ ausnutzen?

Ebenfalls strafbar kann man sich gem. § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB machen, wenn man einen sexuellen Übergriff überraschend vornimmt und die andere Person quasi überrumpelt. Eine derartige Regelung gab es im alten Sexualstrafrecht nicht. Hier bestand nach Auffassung des Gesetzgebers eine Strafbarkeitslücke. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass viele Frauen bei plötzlichen sexuellen Handlungen das Geschehen über sich ergehen ließen und zu einem Widerstand aufgrund eines etwaigen Schockmoments nicht fähig waren. Derartige Fälle sollen nun durch § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB erfasst werden.

Wann liegt eine sexuelle Nötigung vor? Wann eine Vergewaltigung?

Die sexuelle Nötigung ist jetzt in § 177 Absatz 2 Nr. 4 und 5 StGB geregelt. Eine sexuelle Nötigung liegt vor, wenn man den Widerstand einer Person durch Androhen eines empfindlichen Übels brechen will. Empfindlich ist das Übel dann, wenn es geeignet ist, die andere Person zum Sexualkontakt zu zwingen. "Spaßdrohungen" oder Bagatellen („Lass uns Sex haben oder ich koche morgen nicht“ ) fallen nicht hierunter.

Nötigung bedeutet immer Zwang. Wer nötigt, zwingt einem anderen Menschen seinen Willen auf. Auch das Anbieten von zwei Alternativen ist eine Nötigung. "Entweder du tust das mit mir oder ich tue dir weh"- mit derartigen Drohungen kann man sich strafbar machen. Dieses Verhalten war auch bisher strafbar.

Die frühere Version der Vergewaltigung ist jetzt in § 177 Absatz 6 StGB geregelt. Vergewaltigung bedeutet, ein tatsächliches Eindringen in den Körper der anderen Person gegen deren Willen. Wer Gewalt anwendet, einer anderen Person mit Gefahr für Leib oder Leben droht oder eine Lage ausnutzt, in der eine andere Person schutzlos ausgeliefert ist, kann sich zudem besonders strafbar machen. Bereits für eine einfache Vergewaltigung sieht § 177 Abs. 5 StGB Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr vor bis zu 15 Jahren vor.

Was ist eine sexuelle Belästigung?

Ein „Busengrapschen“ oder ein Klatsch auf den Hintern – das war bisher gesetzlich nicht im Rahmen der Sexualdelikte geregelt und konnte nur als Beleidigung zur Anzeige gebracht werden. Auch das hat sich nun geändert, weil nach Auffassung des Gesetzgebers auch dieser Bereich durch die sexuelle Selbstbestimmung geschützt werden soll. Die sexuelle Belästigung bestand bisher zwar umgangssprachlich, war aber nicht ausdrücklich strafrechtlich geregelt.

Mit der Schaffung eines eigenen Straftatbestandes hat der Gesetzgeber also auf die vermehrte aber nicht unumstrittene Kritik reagiert. Die sexuelle Belästigung ist jetzt in § 184i StGB geregelt und verlangt eine Körperberührung, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine sexuellen Charakter aufweist. Eine Belästigung soll bei einer nicht gewollten Störung des Autonomiegefühls vorliegen, die sich als unsittlich darstellt. Man denke etwa an aufgedrängte Küsse, Berührungen im Bereich der Geschlechtsorgane, schnelles unerwartetes Berühren an Brust oder Po etc.

Das Problem von § 184i StGB: wann ist eine Berührung "unsittlich"? Wann wird sie zur Belästigung? Streichelt der Kollege einmal zärtlich über den Unterarm, ist das wohl noch keine Belästigung, tut er es täglich und lächelt dazu aufreizend- dann vielleicht schon. Es gibt keine Erheblichkeitsgrenze und keine eindeutige Definition. Der Rechtsprechung steht damit ein weiter Beurteilungsspielraum offen.

Einschränkend lässt sich sagen, dass man sich zumindest auch belästigt fühlen muss und zwar in sexueller Weise. Das ist immer dann der Fall, wenn man seine eigene sexuelle Selbstbestimmung als missachtet empfindet.

Deutlich wird, dass wieder letztlich uferlos auf das subjektive Empfinden abstellt und der Gesetzgeber es unterlassen hat, ein objektives Korrektiv einzubauen.

Ein Angrabschen in der U-Bahn – ist das jetzt strafbar?

Bisher stellte dies kein explizit geregeltes, strafbares Verhalten dar. Nach der Neufassung des Sexualstrafrechts kann man sich wenigstens wegen sexuellen Belästigung strafbar machen und je nach Schwere der Handlung eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bekommen.

Handeln aus Gruppen heraus ist jetzt strafbar – was bedeutet das?

Ein weiterer neu eingefügter Straftatbestand ist § 184j StGB, der sexuelle Handlungen aus Gruppen heraus unter Strafe stellt.

Der § 184j StGB ist als Reaktion des Gesetzgebers auf die Ereignisse an Silvester in Köln 2015 zu verstehen. Aus Männergruppen heraus sollen Frauen beraubt worden und sexualisierte Gewalt ausgesetzt gewesen sein.

Strafbar kann sich jetzt machen, wer sich an einer Gruppe von mindestens drei Menschen beteiligt, die eine andere Person bedrängen. Ein sexueller Bezug ist dabei zunächst nicht notwendig. Bedrängen ist erst einmal als ein aggressives Vorgehen zu verstehen, womit man die andere Person an einer Flucht hindern will. Versperrt man nur kurzzeitig den Weg, zum Beispiel um einen schlechten Scherz zu machen, ist das noch nicht strafbar. Das Bedrängen muss schon eine gewisse Intensität aufweisen.

Eigentlich liegt hier nämlich nichts anderes, als eine Nötigung oder Freiheitsberaubung vor. Trotzdem kommen diese Worte im Straftatbestand nicht vor. Der Gesetzgeber wollte bewusst jegliche Beteiligung an einem solchen "Gruppenbedrängen" unter Strafe stellen. Dies bedeutet, dass man kann sich durch die bloße Anwesenheit in der Gruppe strafbar macht, wenn einer aus der Gruppe dazu übergehen sollte, die bedrängte Person auch noch sexuell zu belästigen. Eine direkte Verbindung zwischen dem eigentlichen Täter und der eigenen Person ist nicht notwendig.

Straftaten aus Gruppen heraus – wieso ist das verfassungsmäßig bedenklich?

Im Strafrecht ist es grundsätzlich so, dass jeder nur für das bestraft werden kann, was er auch selbst getan hat. Fremdes Verhalten kann nur in sehr seltenen Fällen zugerechnet werden, denn man ist im Grunde nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich. Man kann sich jetzt auch strafbar machen, wenn man zu einer Gruppe gehört, aus welcher jemand eine Sexualstraftat begeht.

Das heißt die bloße Anwesenheit reicht aus, damit eine Straftat gefördert wird, die irgendjemand anderes aus der Gruppe begeht. Von dieser Tat muss man selbst nichts gewusst haben, dennoch kann man sich strafbar machen.

Der Vorwurf der erhoben wird ist vergleichbar mit einer Fahrlässigkeitstat. Sozusagen, man hätte sich mit diesen Personen ja nicht abgeben müssen. Ausgestaltet ist das Delikt jedoch als ein Vorsatzdelikt und hier kommt es normalerweise auf Wissen und Wollen an. Wer jedoch weder weiß noch will, dass eine Person aus der eigenen Gruppe einen anderen Menschen bedrängt und belästigt, sollte dafür auch nicht belangt werden können.

Ob die Norm daher vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, wird sich zeigen.

Warum hat der Gesetzgeber solch eine problematische Norm geschaffen?

Kommt es bei Menschenansammlungen zu Straftaten, ist es nachher oftmals schwierig, einzelne Handlungen einem Beschuldigten nachzuweisen. Der Gesetzgeber wollte dieses vermeintliche Beweisproblem durch die Schaffung von § 184j umgehen. Wenn derjenige, der tatsächlich ein strafbares Verhalten an den Tag gelegt hat, nicht mehr identifizierbar ist, soll eben die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ausreichen, um alle zu bestrafen.

Welche Strafen drohen jetzt bei Sexualdelikten?

Im Falle eines „einfachen“ sexuellen Übergriffs nach § 177 StGB drohen je nach Schwere der Handlung sechs Monate bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Kommt es bei dem sexuellen Übergriff zum Tod der anderen Person, kann sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe drohen. Wird der Übergriff mithilfe von Gewalt oder Drohung durchgeführt und liegt damit dann eine Nötigung vor, sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mindestens eine Jahr vor.

Für sexuelle Belästigung kann je nach Schwere eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, in schweren Fällen bis zu fünf Jahren drohen. Geldstrafe oder eine Haft bis zu zwei Jahren kann auch bei einer Verurteilung wegen einer Straftat aus einer Gruppe heraus drohen. Man sieht, ein Beteiligter an einer Gruppe wird genauso bestraft wie jemand, der eine sexuelle Belästigung nach § 184i StGB begangen hat.

Haftstrafen über zwei Jahren können nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Im Falle einer Beschuldigung sollte man daher so schnell wie möglich einen Fachanwalt für Strafrecht aufsuchen.

Ich bin bereits wegen eines Sexualdelikts verurteilt worden, welche Auswirkungen hat das?

Eine Verurteilung wird im Bundeszentralregister eingetragen. In diesem Register sind sämtliche strafgerichtlichen Urteile, Vermerke über Schuldunfähigkeit, gerichtliche Feststellungen zur Betäubungsmittelabhängigkeit und zum Verbot des Ausübung eines Gewerbes sowie nachträgliche Entscheidungen der Gerichte wie Straferlass, Strafaussetzung und Führungsaufsicht eingetragen.

Außerdem erfolgt ein Eintrag in das polizeiliche Führungszeugnis, welches nur ein Ausschnitt aus dem Bundeszentralregister darstellt.

Gibt es eine besonders schwere Form des sexuellen Übergriffs?

Ja. Besonders schwere Fälle einer sexuellen Nötigung sind jetzt in den § 177 Absatz 6 bis 8 StGB geregelt und sehen empfindliche Freiheitsstrafen vor.

Ein besonders schwerer Fall kann vorliegen, wenn es tatsächlich zum Beischlaf kommt. Damit ist die Vergewaltigung geregelt. Bisher lag eine Vergewaltigung erst dann vor, wenn psychisch oder physisch Zwang ausgeübt wurde. Ein solcher Zwang ist jetzt eben gerade nicht mehr notwendig. Wer eine andere Person gegen deren Willen sexuell penetriert, also auch in deren Körper eindringt und damit „vergewaltigt“ kann sich besonders strafbar machen.

Wird die Person besonders erniedrigt oder begehen mehrere gemeinschaftlich eine sexuelle Handlung an einer anderen Person begehen liegt ebenfalls ein besonders schwerer Fall vor.

Die Absätze sieben und acht des § 177 StGB regeln weitere strafschärfende Fälle. Ein solcher kann vorliegen, wenn man bei der Tat eine Waffe, ein anderes gefährliches Werkzeug oder sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um damit dem Widerstand der anderen Person zu brechen. Wichtig: das Werkzeug muss nicht eingesetzt werden, es genügt das bloße Beisichführen um damit notfalls einen Widerstand brechen zu können. Kommt es infolge des sexuellen Übergriffs zu einer schweren Gesundheitsschädigung der anderen Person, droht Haft nicht unter drei Jahren.

Bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe können sogar drohen, wenn die andere Person körperlich schwer misshandelt wird, in Lebensgefahr gerät oder eine Waffe oder gefährliches Werkzeug gegen sie eingesetzt wird. Das heißt hier wird das mitgeführte Werkzeug oder die Waffe auch tatsächlich eingesetzt. Die Absätze sieben und acht bestanden in dieser Form auch bereits vor der Reform des Sexualstrafrechts.

Ich werde beschuldigt, vor 2015 eine Vergewaltigung begangen zu haben, was ist anders?

Das neue Sexualstrafrecht gilt erst für Vorwürfe nach dem Inkrafttreten des neuen Sexualstrafrechts. Vorwürfe aus dem Jahre 2015 unterfallen dem alten Sexualstrafrecht. Fragen zur sexuellen Nötigung werden hier und Fragen zur Vergewaltigung werden hier beantwortet.

Ich bin einer Sexualstraftat beschuldigt – was muss ich jetzt also beachten?

Durch die Reform des Sexualstrafrechts 2016 haben sich die bisherigen Regelungen verschärft. Die Strafbarkeitsschwelle ist damit gesunken. Gewalt oder Zwang sind jetzt nicht mehr notwendig, um sich eines Sexualdelikts strafbar zu machen. Das Risiko wegen eines sexuellen Übergriffs angezeigt zu werden, ist dadurch höher. Sollte eine Anzeige wegen Vergewaltigung oder versuchter Vergewaltigung gegen Sie vorliegen, sollten Sie nicht zögern und umgehend einen Fachanwalt für Strafrecht aufsuchen.

Bei einer Vorladung durch die Polizei gibt es grundsätzlich keine Pflicht zum Erscheinen. Sie müssen sich zu den Vorwürfen nicht äußern und das sollten Sie auch nicht. Gerade das Sexualstrafrecht ist ein empfindliches Gebiet. Polizisten sind schnell geneigt, dem vermeintlichen Opfer zu glauben oder Suggestivfragen zu stellen. Einer Vernehmung durch die Polizei ist man oftmals nicht gewachsen und trifft dann Aussagen, die sich später ungünstig auswirken können.

Ein erfahrener Rechtsanwalt wird zunächst Akteneinsicht beantragen und sich ein Bild über die Vorwürfe und vor allem die Beweislage machen.

Eine gefestigte Rechtsprechung zum neuen Sexualstrafrecht gibt es noch nicht. Wie Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB) vor Gericht tatsächlich verhandelt werden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Fundierter juristischer Rat ist daher empfehlenswert.

Kontakt zu Rechtsanwalt Dietrich

Rechtsanwalt Dietrich erreichen Sie unter den angegebenen Kontaktdaten. Sie können telefonisch einen Besprechungstermin mit Rechtanwalt Dietrich vereinbaren. Sollten Sie z.B. aufgrund der Entfernung einen persönlichen Besprechungstermin in Berlin nicht wahrnehmen können, können Sie Rechtsanwalt Dietrich auch eine E-Mail schreiben.