Verjährung, Verfolgungsverjährung und Vollstreckungsverjährung erklärt von Rechtsanwalt Dietrich
Der Zeitpunkt der Verjährung ist wichtig für die Verfolgung und Vollstreckung einer Tat. Es wird zwischen der Verfolgungsverjährung in § 78 StGB und der Vollstreckungsverjährung in § 79 StGB unterschieden. Die Verfolgungsverjährung bestimmt, ab welchem Zeitpunkt nach der Begehung einer Tat die Strafverfolgungsbehörde keine Ermittlungen mehr aufnehmen oder fortführen darf – die Tat also nicht mehr verfolgt werden kann. Die Vollstreckungsverjährung regelt, ab welchem Zeitpunkt eine Tat nicht mehr vollstreckt werden kann.
Rechtsanwalt Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin, beantwortet die wichtigsten Fragen und erörtert wesentliche Probleme im Zusammenhang mit der Verjährung.
- Wann beginnt die Verfolgungsverjährung?
- Wie lange dauert es, bis Verjährung nach § 78 StGB eintritt?
- Kann die Dauer unterbrochen werden?
- Was kann ich unter Ruhen der Verjährung nach § 78b StGB verstehen?
- Wann beginnt und wie lange dauert die Vollstreckungsverjährung nach § 79 StGB?
- Kann auch die Vollstreckungsverjährung ruhen?
- Kann die Verjährungsdauer bei der Vollstreckungsverjährung auch verlängert werden?
Verfolgungsverjährung gem. § 78 StGB
Die §§ 78 ff. StGB regeln, bis wann eine Tat verfolgt werden kann. Dabei ist es wichtig, genau zu wissen, ab wann die Verjährung beginnt, wie lange es dauert, bis Verjährung eintritt, und unter welchen Voraussetzungen die Verjährungsdauer unterbrochen oder gehemmt werden kann.
Wann beginnt die Verfolgungsverjährung?
Gem. § 78a StGB beginnt die die Verjährung, sobald die Tat beendet ist. Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung zu diesem Zeitpunkt.
Interessant und zugleich problematisch kann der Beginn der Verfolgungsverjährung zum Beispiel beim Besitz von Waffen oder Drogen sein. Der Besitz von Drogen (Verstoß gegen das BtMG) oder der Besitz von Waffen (Verstoß gegen WaffG) ist ein Dauerdelikt. Solange man die Drogen oder Waffen im Besitz hat, beginnt die Verjährung nicht zu laufen. Das gleiche gilt beim Besitz von kinderpornografischen Schriften gem. § 184b StGB.
Da der Besitz von verbotenen Gegenständen wie z.B. Waffen, Drogen oder kinderpornografischen Schriften einen Besitzwillen voraussetzt, kann eine Bestrafung trotzdem nicht erfolgen, wenn man vergessen hat, die Gegenstände zu besitzen.
Wie lange dauert es, bis Verjährung nach § 78 StGB eintritt?
Die Verjährungsfrist nach § 78 StGB variiert je nach Tatbestand. So besagt § 78 Abs. 2 StGB, dass Verbrechen nach § 211 (Mord) nicht verjähren. Eine Verfolgung ist auch Jahrzehnte später noch möglich.
§ 78 Abs. 3 StGB normiert folgende Verjährungsfristen:
- fünfundzwanzig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
- zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
- zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
- fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
- drei Jahre bei den übrigen Taten.
Im Einzelnen fallen darunter folgende Beispiele:
Die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB wäre beim Raub mit Todesfolge gem. § 251 StGB einschlägig. § 251 StGB normiert die lebenslange Freiheitsstrafe ausdrücklich. Die Verjährung setzt dann nach 25 Jahren ein.
Nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB verjähren Taten, die als Höchststrafe mehr als zehn Jahre Freiheitsstrafe vorsehen, nach 20 Jahren. Darunter zählt der Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB. Die Norm sieht ein Mindestmaß von nicht unter fünf Jahren vor. Dadurch, dass jedoch keine Höchststrafe normiert ist, richtet sich diese nach § 38 StGB. Nach § 38 Abs. 2 StGB beträgt die Höchststrafe bei einer zeitigen Freiheitsstrafe 15 Jahre.
Ebenso verjähren nach 20 Jahren beispielsweise:
- der Raub gem. § 249 StGB
- die räuberische Erpressung nach §§ 253,255 StGB
- die Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB
- die Freiheitsberaubung mit Todesfolge nach § 239 Abs. 4 StGB
- die absichtlich oder wissentlich herbeigeführte schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB
Nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB verjähren Taten nach zehn Jahren, wenn sie mit einer Höchstfreiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind.
Darunter fallen vor allem:
- die gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB
- die schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB
- der Diebstahl mit Waffen, Bandendiebstahl oder Wohnungseinbruchsdiebstahl nach § 244 StGB
- sexueller Missbrauch von Kindern gem. §176 Abs. 1 StGB
- der räuberische Angriff auf einen Kraftfahrer nach § 316a StGB
- die einfache Brandstiftung nach § 306 StGB
Ein Verjährungseintritt nach fünf Jahren tritt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB bei Taten ein, die ein Höchstmaß an Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren vorsehen.
Darunter fallen unter anderem:
- die einfache Körperverletzung nach § 223 StGB
- die fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB
- die Beteiligung an einer Schlägerei gem. § 231 StGB
- der Diebstahl nach § 242 StGB
- die Unterschlagung gem. § 246 StGB
- die Begünstigung nach § 257 StGB
- die Hehlerei gem. § 259 StGB
- die Urkundenfälschung gem. § 267 StGB
- der Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB
- der Versicherungsmissbrauch nach § 265 StGB
- die Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB
- ein besonders schwerer Fall der Nötigung nach § 240 Abs. 4 StGB
- unerlaubtes Entfernen vom Unfallort bzw. Fahrerflucht gem. § 142 StGB
- der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 StGB
- die Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 StGB
- die falsche uneidliche Aussage nach § 153 StGB
- die Sachbeschädigung nach § 303
Zuletzt sieht § 78 Abs. 3 Nr. 5 noch eine Verjährung nach 3 Jahren für alle übrigen Delikte vor.
Darunter fallen dann zum Beispiel:
- die Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB
- die Bedrohung nach § 241 StGB
- die Beleidigung nach § 185 StGB
- der Hausfriedensbruch gem. §123 StGB
Kann die Dauer unterbrochen werden?
Nach § 78c StGB kann die Verjährungsdauer in bestimmten Fällen auch unterbrochen werden. Das ist zum Beispiel durch die erste Vernehmung des Beschuldigten der Fall, oder durch eine richterlich angeordnete Durchsuchung, einen Haftbefehl, die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Eröffnung des Hauptverfahrens. In einem solchen Fall, beginnt die Verjährung, ab dem Zeitpunkt des unterbrechenden Ereignisses jeweils neu zu laufen. Die Verjährung tritt aber spätestens mit dem doppelten der ursprünglichen Verjährungsfrist ein. Bei einem Betrug oder einer Urkundenfälschung wären es somit maximal 10 Jahre. Bei einer Trunkenheitsfahrt sechs Jahre.
Insbesondere weil die Verjährung unterbrochen werden kann, ohne dass ein Beschuldigter hiervon Kenntnis haben muss, ist es ohne Einsicht in die Ermittlungsakte nicht möglich Tag genau z.B. anhand einer Tabelle das Verjährungsende sicher zu bestimmen.
Was kann ich unter Ruhen der Verjährung nach § 78b StGB verstehen?
Nach § 78b StGB kann die Verjährungsfrist auch ruhen. Das bedeutet, dass beim Vorliegen eines der in § 78b StGB genannten Gründe der Beginn oder der Weiterverlauf der Verjährungsfrist gehemmt ist. Die Frist „pausiert“ sozusagen. Endet das Ruhen, so läuft die Frist anknüpfend weiter, ohne neu zu beginnen.
§ 78b Abs. 1 StGB sieht dies für folgende Fällen vor:
- Bei einer Sexualstraftat gegenüber einer minderjährigen Person nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB. In einem solchen Fall beginnt die Verjährung, anders als § 78a StGB es vorsieht, nicht mit Beendigung der Tat, sondern mit Vollendung des 30. Lebensjahres. Dies gilt für alle Fälle des sexuellen Missbrauches gegenüber Schutzbefohlenen gem. § 174 StGB. Aber auch in den Fällen des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c StGB, des sexuellen Missbrauches von Kindern nach § 176 StGB, des sexuellen Missbrauches widerstandsunfähiger Personen nach § 179 StGB, der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger im Falle des § 180 Abs. 3 StGB, des sexuellen Missbrauches von Jugendlichen gem. § 182 StGB, der Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 StGB, der Verstümmelung weiblicher Genitalien gem. § 226a StGB und der Zwangsheirat gem. § 237 StGB beginnt die Verjährung erst mit Vollendung des 30. Lebensjahres.
- Das Gesetz bestimmt, dass die Verfolgung nicht beginnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Allerdings dies gilt nicht, wenn die Tat nur deshalb nicht verfolgt werden kann, weil Antrag, Ermächtigung oder Strafverlangen fehlen
Besonderheiten ergeben sich nach § 78b Abs. 2 StGB auch im Falle der Strafverfolgung eines Mitgliedes des Bundestages oder eines Gesetzgebungsorganes eines Landes. In den Fällen beginnt die Verjährung mit Ablauf des Tages zu ruhen, an dem
- die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde oder ein Beamter des Polizeidienstes von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt oder
- eine Strafanzeige oder ein Strafantrag gegen den Täter angebracht wird (§ 158 der Strafprozessordnung).
§ 78b Abs. 3 StGB regelt den Fall, dass vor Ablauf der Verjährungsfrist ein Urteil des ersten Rechtszuges ergangen ist. Wenn ja, so läuft die Verjährungsfrist nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.
Nach § 78b Abs. 4 StGB ruht die Verjährung in den Fällen des § 78 Abs. 3 Nr. 4 ab Eröffnung des Hauptverfahrens, höchstens jedoch für einen Zeitraum von fünf Jahren, sofern das Gesetz strafschärfend für besonders schwere Fälle Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren androht und das Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet worden ist.
§ 78b Abs. 5 StGB regelt den Fall, in dem sich der Täter im Ausland befindet und die zuständige Behörde ein förmliches Auslieferungsersuchen stellt.
Und nach § 78b Abs. 6 StGB ruht in den Fällen des § 78 Absatz 3 Nummer 1 bis 3 die Verjährung ab der Übergabe der Person an den Internationalen Strafgerichtshof oder den Vollstreckungsstaat bis zu ihrer Rückgabe an die deutschen Behörden oder bis zu ihrer Freilassung durch den Internationalen Strafgerichtshof oder den Vollstreckungsstaat.
Die Vollstreckungsverjährung gem. § 79 StGB
Die Vollstreckungsverjährung regelt, wie lange eine Strafe oder Maßnahme nach einem rechtskräftigen Urteil vollstreckt werden kann. Die Regelungen dazu finden sich in §§79 ff. StGB.
Wann beginnt und wie lange dauert die Vollstreckungsverjährung nach § 79 StGB?
In § 79 StGB werden, parallel zu § 78 StGB, die Fristen für die Vollstreckungsverjährung geregelt.
Nach § 79 Abs. 6 StGB beginnt die Vollstreckungsverjährung mit der Rechtskraft der Entscheidung.
§79 Abs. 2 ist zu entnehmen, dass bei einem Mord nach § 211 StGB ebenso wie die Verfolgung, auch die Vollstreckung nicht verjährt.
Im Übrigen gelten nach § 79 Abs. 3 StGB folgende Verjährungsfristen:
- fünfundzwanzig Jahre bei Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren,
- zwanzig Jahre bei Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren,
- zehn Jahre bei Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren,
- fünf Jahre bei Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und bei Geldstrafe von mehr als dreißig Tagessätzen,
- drei Jahre bei Geldstrafe bis zu dreißig Tagessätzen.
Anknüpfungspunkt ist folglich die konkret festgelegte Strafe und nicht das Strafmaß der verletzten Norm.
Kann auch die Vollstreckungsverjährung ruhen?
Auch die Vollstreckungsverjährung kann, wie die Verfolgungsverjährung ruhen. Dies regelt § 79a StGB. Ein solches Ruhen wäre zum Beispiel dann gegeben, wenn die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die Wirkung ist dabei identisch zu der aus § 78b StGB.
Kann die Verjährungsdauer bei der Vollstreckungsverjährung auch verlängert werden?
Nach § 79b StGB kann die Vollstreckungsverjährung einmal verlängert werden. Dies Geschieht auf Antrag der Vollstreckungsbehörde und liegt im Ermessen des zuständigen Gerichts. Die Dauer beträgt die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist aus § 79 StGB. Voraussetzung für die Anordnung ist, dass sich der Betroffene in einem Gebiet aufhält, aus dem seine Auslieferung oder Überstellung nicht möglich ist. Entscheidend ist dabei, ob ein weiteres Vollstreckungsbedürfnis besteht oder nicht.